01.01.01.01 Anwendung der Kommunikationsgrundrechte auf Internetkommunikation, Lücken, Einordnungsschwierigkeiten - TEIL 4

1-1 von 1
  • 01.01.01.01 Anwendung der Kommunikationsgrundrechte auf Internetkommunikation, Lücken, Einordnungsschwierigkeiten - TEIL 4 (Originalversion)

    von EnqueteSekretariat, angelegt
    1 IV. Bisheriger Stand der Wissenschaft / Rechtsprechung zum
    2 Schutz inhaltsneutraler Tätigkeiten durch
    3 Kommunikationsgrundrechte
    4
    5 1. Schutz von inhaltsneutraler Tätigkeit durch Art. 5 I GG
    6 (BVerfG - Presse-Grosso)
    7
    8 Hinsichtlich der grundrechtlichen Einordnung in Bezug auf
    9 Art. 5 GG von (presseexternen) inhaltsneutralen Tätigkeiten
    10 hat sich das BVerfG bisher nur in Bezug auf die
    11 Presse-Grossisten.[FN: Das Presse-Grosso-System ist derzeit
    12 Gegenstand gerichtlicher Auseinandersetzungen (zum Ganzen:
    13 Gersdorf, Hubertus: AfP 2012, 336 ff.), in denen es um die
    14 kartellrechtliche Zulässigkeit sowohl des Systems der
    15 Alleinauslieferung (vgl. BGH, AfP 2011, 569 ff.; siehe
    16 hierzu: Alexander, Christian: ZWeR 2012, 215 ff.; Bach,
    17 Albrecht: NJW 2012, 728 ff.; Paal, Boris P.:AfP 2012, 1 ff.)
    18 als auch des zentralen Verhandlungsmandats des
    19 Bundesverbandes Deutscher Buch-, Zeitungs- und
    20 Zeitschriften-Grossisten e.V. (vgl. LG Köln, AfP 2012, 195 –
    21 nicht rechtskräftig; der Bundesverband Presse-Grosso hat
    22 gegen das Urteil Berufung eingelegt, OLG Düsseldorf, Az. VI
    23 U 7/12 [Kart].) geht.] geäußert. Das BVerfG musste 1988
    24 entscheiden, ob die Tätigkeit der externen
    25 Presse-Grossisten, die an sich eine inhaltsneutrale
    26 Tätigkeit ausüben, auch von dem Schutzbereich des Art. 5 I 2
    27 GG (Pressefreiheit) erfasst werden. Auch wenn der
    28 Schutzbereich der Pressefreiheit recht weit gefasst wird, da
    29 es um die Frage geht, ob eine ungehinderte
    30 Meinungsverbreitung möglich ist, wird gleichwohl nicht jede
    31 selbständige Tätigkeit von dem Schutzbereich des Art. 5 I 2
    32 GG erfasst, die der Presse lediglich zugute kommt und für
    33 diese funktionswichtig ist. Maßgebend ist ein ausreichender
    34 Inhaltsbezug der Tätigkeit. [ Vgl.: BVerfGE 77, 346 (354).]
    35 Nur wenn dieser vorliegt, kann die Tätigkeit unter den
    36 Schutzbereich der Pressefreiheit gefasst werden, da der
    37 Schutz im Interesse der freien Meinungsbildung besteht. [
    38 Vgl.: BVerfGE 57, 295 (319).] Bei den presseinternen,
    39 inhaltsfernen oder sogar inhaltsneutralen Hilfstätigkeiten
    40 ist der Inhaltsbezug und somit der Schutz durch die
    41 Pressefreiheit durch die organisatorische Verflechtung mit
    42 dem Presseunternehmen begründet. [ Vgl.: BVerfGE 77, 346
    43 (354).] Bei den presseexternen Hilfstätigkeiten ist der
    44 Schutz regelmäßig aufgrund mangelnden Inhaltsbezugs hingegen
    45 nicht gegeben. Es sei denn:
    46
    47 - eine selbständig ausgeübte, nicht die Herstellung von
    48 Presseerzeugnissen betreffende Hilfstätigkeit, die
    49 typischerweise pressebezogen ist
    50 [ Vgl.: BVerfGE 77, 346 (354).] (=
    51 presseexterne Hilfstätigkeit) weist eine
    52 - enge organisatorische Bindung an die Presse [ Vgl.:
    53 BVerfGE 77, 346 (354).] (erstens, wenn Presseunternehmen
    54 für den freien Verkauf ihrer Erzeugnisse auf Grossisten
    55 angewiesen sind; zweitens, wenn die Verleger auch umgekehrt
    56 einen erheblichen Einfluss auf die Vertriebstätigkeit der
    57 Grossisten haben) [Vgl.: BVerfGE 77, 346 (355).]auf;
    58 - ist für das Funktionieren einer freien Presse notwendig
    59 [ Vgl.: BVerfGE 77, 346 (354).] und eine
    60 - staatliche Regulierung dieser Tätigkeit würde sich
    61 zugleich einschränkend auf die Meinungsverbreitung
    62 auswirken. [ Vgl.: BVerfGE 77, 346 (354).]
    63
    64 Da das BVerfG diese Kriterien hinsichtlich der Tätigkeit der
    65 Presse-Grossisten als erfüllt ansah, bescheinigte es ihnen
    66 den Schutz der Pressefreiheit. Hinsichtlich anderer Anbieter
    67 inhaltsneutraler Tätigkeiten hat sich das BVerfG noch nicht
    68 geäußert.
    69
    70 2. Schutz von inhaltsneutraler Tätigkeit durch Art. 5 I GG
    71 (Lit.  Kabelnetzbetreiber)
    72
    73 Fraglich ist nun, inwieweit die Rechtsprechung des BVerfG
    74 fruchtbar gemacht werden kann, wenn es um den
    75 Grundrechtsschutz hinsichtlich des Art. 5 I GG für die neuen
    76 inhaltsneutralen Akteure geht. Eine Parallele zu der
    77 Presse-Grosso-Rechtsprechung wurde bereits für die
    78 Kabelnetzbetreiber hinsichtlich ihrer inhaltsneutralen
    79 Tätigkeit – des Transports der Inhalte der
    80 Rundfunkveranstalter – gezogen. [Vgl.: Gersdorf, Hubertus:
    81 Grundzüge des Rundfunkrechts. Nationaler und europäischer
    82 Regulierungsrahmen, 2003, S. 54 ff. und: Wichmann, Anja:
    83 Vielfaltsicherung in digitalisierten Breitbandkabelnetzen.
    84 Rechtsprobleme der Nutzung digitalisierter
    85 Rundfunk-Kabelnetze durch Fernsehveranstalter: 2004, S. 51.]
    86 Bereits vor einigen Jahren wurde die Übertragung der
    87 Presse-Grosso-Rechtsprechung auf die Kabelnetzbetreiber
    88 gefordert. [ Vgl.: Gersdorf, Hubertus: Grundzüge des
    89 Rundfunkrechts. Nationaler und europäischer
    90 Regulierungsrahmen. 2003, S. 54 ff. und: Wichmann, Anja:
    91 Vielfaltsicherung in digitalisierten Breitbandkabelnetzen.
    92 Rechtsprobleme der Nutzung digitalisierter
    93 Rundfunk-Kabelnetze durch Fernsehveranstalter. 2004, S. 43
    94 ff.] Dabei muss unterschieden werden zwischen der reinen
    95 Transporttätigkeit durch Programmübermittlung einerseits und
    96 der Programmbündelung und -vermarktung andererseits. Während
    97 die reine Programmübermittlung keinen Inhaltsbezug aufweist,
    98 ist dieser bei der Programmbündelung gerade durch die
    99 Auswahl der Programme, die eingespeist werden sollen,
    100 gegeben. Für die Frage des Grundrechtsschutzes der
    101 Kabelnetzbetreiber aus der Rundfunkfreiheit wird die
    102 Rechtsprechung des BVerfG zum Presse-Grosso, die
    103 hinsichtlich der Pressefreiheit ergangen ist, auf die
    104 Rundfunkfreiheit übertragen. [Vgl.: BVerfGE 78, 101 (103),
    105 das hinsichtlich des Grundrechtsschutzes der erforderlichen
    106 Hilfstätigkeiten eines Rundfunkveranstalters auf die
    107 Presse-Grosso-Rechtsprechung verweist und diese bejaht.]Dann
    108 wird geprüft, ob die Voraussetzungen, die das BVerfG
    109 hinsichtlich des Grundrechtsschutzes einer inhaltsneutralen
    110 Tätigkeit aufgestellt hat, vorliegen.
    111
    112 Voraussetzung für den Grundrechtsschutz aus der
    113 Rundfunkfreiheit für Hilfstätigkeiten ist: [Vgl.: Wichmann,
    114 Anja: Vielfaltsicherung in digitalisierten
    115 Breitbandkabelnetzen. Rechtsprobleme der Nutzung
    116 digitalisierter Rundfunk-Kabelnetze durch
    117 Fernsehveranstalter. 2004, S. 51.]
    118
    119 - eine selbständig ausgeübte Tätigkeit, die nicht in der
    120 Veranstaltung von Rundfunksendungen besteht,
    121 - dass die Tätigkeit eine notwendige Bedingung für einen
    122 freien Rundfunk ist und
    123 -dass sie einen ausreichenden Inhaltsbezug aufweist. Dieser
    124 ist gegeben, [ Vgl.: Wichmann, Anja: Vielfaltsicherung in
    125 digitalisierten Breitbandkabelnetzen. Rechtsprobleme der
    126 Nutzung digitalisierter Rundfunk-Kabelnetze durch
    127 Fernsehveranstalter. 2004, S. 51.]
    128 - wenn die Hilfstätigkeit typischerweise rundfunkbezogen
    129 ist,
    130 - sie in enger organisatorischer Bindung an den Rundfunk
    131 erfolgt und
    132 - sich eine staatliche Regulierung dieser Tätigkeit zugleich
    133 einschränkend auf die Meinungsbildung auswirkt. [ Vgl.:
    134 ebd., S. 51.]
    135
    136 Demzufolge fallen die Kabelnetzbetreiber hinsichtlich der
    137 reinen Transportfunktion, die inhaltsneutral ist, unter den
    138 Schutz des Art. 5 I 2 GG (Rundfunkfreiheit), da die oben
    139 genannten Kriterien zum Presse-Grosso zum einen auf die
    140 Rundfunkfreiheit übertragbar und zum anderen aus folgenden
    141 Gründen erfüllt sind: Die Kabelnetzbetreiber üben eine
    142 selbständige Tätigkeit aus, die auch, wenn man die reine
    143 Transporttätigkeit betrachtet, nicht in der Veranstaltung
    144 von Rundfunk besteht. Ohne die Verbreitung durch das
    145 Kabelnetz könnte mangels alternativer Verbreitung nicht ein
    146 so breites Publikum mit den Inhalten erreicht werden, so
    147 dass dies eine notwendige Bedingung für einen freien
    148 Rundfunk darstellt. Die Tätigkeit der Kabelnetzbetreiber ist
    149 hinsichtlich des Transports der Rundfunkprogramme als
    150 typischerweise rundfunkbezogen einzustufen. Die enge
    151 organisatorische Bindung besteht, da die Beziehung zwischen
    152 dem Kabelnetzbetreiber als Transporteur und den
    153 Rundfunkveranstaltern als Inhalteanbieter sich als ein
    154 wechselseitiges Abhängigkeitsverhältnis gestaltet. Zum einen
    155 sind die Rundfunkveranstalter darauf angewiesen, dass die
    156 Kabelnetzbetreiber das Rundfunkprogramm transportieren, da
    157 sonst der Rezipient nicht in den Genuss des Programms kommen
    158 würde. Zum anderen hat aber auch der große
    159 Rundfunkveranstalter einen Einfluss auf den
    160 Kabelnetzbetreiber, was die Nutzungskonditionen oder die
    161 Kabelbelegungsentscheidungen angeht,[Vgl.: ebd., S. 52.] so
    162 dass auch ein ausreichender Inhaltsbezug besteht.
    163
    164 Dagegen ist hinsichtlich der Programmbündelung der Schutz
    165 aus Art 5 I GG gegeben, ein Rückgriff auf die
    166 Presse-Grosso-Rechtsprechung ist nicht erforderlich, da dies
    167 keine inhaltsneutrale Tätigkeit ist. Vielmehr nimmt der
    168 Kabelnetzbetreiber dadurch eine eigene inhaltliche,
    169 programmbezogene Gestaltung vor, um ein attraktives
    170 Programmbouquet zusammenzustellen.
    171
    172 3. Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zu inhaltsneutralen
    173 Tätigkeiten von Providern
    174
    175 Wenn man einen Blick auf die Rechtsprechung des BGH wirft,
    176 so fällt auf, dass zahlreiche Urteile bezüglich der
    177 Störerhaftung von Providern, zumeist Host-Providern, zu
    178 finden sind. Die Host-Provider stellen gerade keine eigenen
    179 Inhalte zur Verfügung, sondern lediglich die Server, auf
    180 denen die Inhalte gespeichert werden können.
    181 In einer Sache hatte der BGH zu entscheiden, welche
    182 Prüfpflichten den Host-Provider in Bezug auf eine
    183 Störerhaftung treffen, wenn ein Nutzer auf seiner Plattform
    184 angeblich persönlichkeitsrechtsverletzende Äußerungen
    185 tätigt. [Vgl.: BGH, NJW 2012, 148 ff.]In diesem Zusammenhang
    186 hat der BGH zur Ermittlung dieser Prüfpflichten eine
    187 Abwägung zwischen den betroffenen Grundrechten auf Seiten
    188 des Verletzten und auf Seiten des Providers angestellt. Als
    189 Grundrechte des Providers nennt der BGH Art. 5 I GG, Art 10
    190 EMRK, die Meinungs- und Medienfreiheit. [ Vgl.: BGH, NJW
    191 2012, 148 (150): Recht des Providers auf Meinungs- und
    192 Medienfreiheit.] Somit erkennt der BGH für den Host-Provider
    193 den Grundrechtsschutz aus Art. 5 I GG an – auch wenn eine
    194 genauere Begründung dazu ausbleibt.
    195
    196 4. Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs zu
    197 inhaltsneutralen Tätigkeiten von Providern
    198
    199 Rechtsprechung des EuGH bezüglich inhaltsneutraler
    200 Tätigkeiten und den Kommunikationsfreiheiten ist durchaus zu
    201 finden. Zuletzt hatte der EuGH in seiner Entscheidung vom
    202 16. Februar 2012 [Vgl.: EuGH, ZUM 2012, 307 ff.  Sabam und
    203 EuGH, ZUM 2012, 29 ff.  Scarlet Extended.] über
    204 urheberrechtliche Verletzungen auf Plattformen zu befinden,
    205 ob dem Provider zulässigerweise eine generelle Pflicht zur
    206 Einführung eines Filtersystems auferlegt werden darf. Bei
    207 seinen Ausführungen erkennt der EuGH für den Host-Provider
    208 keine Kommunikationsgrundrechte an. Es werden lediglich
    209 Wirtschaftsgrundrechte in die Abwägung eingestellt. Nur für
    210 die Nutzer werden Kommunikationsgrundrechte angeführt.