Papier: 01.01.01.01 Anwendung der Kommunikationsgrundrechte auf Internetkommunikation, Lücken, Einordnungsschwierigkeiten - TEIL 4

Originalversion

1 IV. Bisheriger Stand der Wissenschaft / Rechtsprechung zum
2 Schutz inhaltsneutraler Tätigkeiten durch
3 Kommunikationsgrundrechte
4
5 1. Schutz von inhaltsneutraler Tätigkeit durch Art. 5 I GG
6 (BVerfG - Presse-Grosso)
7
8 Hinsichtlich der grundrechtlichen Einordnung in Bezug auf
9 Art. 5 GG von (presseexternen) inhaltsneutralen Tätigkeiten
10 hat sich das BVerfG bisher nur in Bezug auf die
11 Presse-Grossisten.[FN: Das Presse-Grosso-System ist derzeit
12 Gegenstand gerichtlicher Auseinandersetzungen (zum Ganzen:
13 Gersdorf, Hubertus: AfP 2012, 336 ff.), in denen es um die
14 kartellrechtliche Zulässigkeit sowohl des Systems der
15 Alleinauslieferung (vgl. BGH, AfP 2011, 569 ff.; siehe
16 hierzu: Alexander, Christian: ZWeR 2012, 215 ff.; Bach,
17 Albrecht: NJW 2012, 728 ff.; Paal, Boris P.:AfP 2012, 1 ff.)
18 als auch des zentralen Verhandlungsmandats des
19 Bundesverbandes Deutscher Buch-, Zeitungs- und
20 Zeitschriften-Grossisten e.V. (vgl. LG Köln, AfP 2012, 195 –
21 nicht rechtskräftig; der Bundesverband Presse-Grosso hat
22 gegen das Urteil Berufung eingelegt, OLG Düsseldorf, Az. VI
23 U 7/12 [Kart].) geht.] geäußert. Das BVerfG musste 1988
24 entscheiden, ob die Tätigkeit der externen
25 Presse-Grossisten, die an sich eine inhaltsneutrale
26 Tätigkeit ausüben, auch von dem Schutzbereich des Art. 5 I 2
27 GG (Pressefreiheit) erfasst werden. Auch wenn der
28 Schutzbereich der Pressefreiheit recht weit gefasst wird, da
29 es um die Frage geht, ob eine ungehinderte
30 Meinungsverbreitung möglich ist, wird gleichwohl nicht jede
31 selbständige Tätigkeit von dem Schutzbereich des Art. 5 I 2
32 GG erfasst, die der Presse lediglich zugute kommt und für
33 diese funktionswichtig ist. Maßgebend ist ein ausreichender
34 Inhaltsbezug der Tätigkeit. [ Vgl.: BVerfGE 77, 346 (354).]
35 Nur wenn dieser vorliegt, kann die Tätigkeit unter den
36 Schutzbereich der Pressefreiheit gefasst werden, da der
37 Schutz im Interesse der freien Meinungsbildung besteht. [
38 Vgl.: BVerfGE 57, 295 (319).] Bei den presseinternen,
39 inhaltsfernen oder sogar inhaltsneutralen Hilfstätigkeiten
40 ist der Inhaltsbezug und somit der Schutz durch die
41 Pressefreiheit durch die organisatorische Verflechtung mit
42 dem Presseunternehmen begründet. [ Vgl.: BVerfGE 77, 346
43 (354).] Bei den presseexternen Hilfstätigkeiten ist der
44 Schutz regelmäßig aufgrund mangelnden Inhaltsbezugs hingegen
45 nicht gegeben. Es sei denn:
46
47 - eine selbständig ausgeübte, nicht die Herstellung von
48 Presseerzeugnissen betreffende Hilfstätigkeit, die
49 typischerweise pressebezogen ist
50 [ Vgl.: BVerfGE 77, 346 (354).] (=
51 presseexterne Hilfstätigkeit) weist eine
52 - enge organisatorische Bindung an die Presse [ Vgl.:
53 BVerfGE 77, 346 (354).] (erstens, wenn Presseunternehmen
54 für den freien Verkauf ihrer Erzeugnisse auf Grossisten
55 angewiesen sind; zweitens, wenn die Verleger auch umgekehrt
56 einen erheblichen Einfluss auf die Vertriebstätigkeit der
57 Grossisten haben) [Vgl.: BVerfGE 77, 346 (355).]auf;
58 - ist für das Funktionieren einer freien Presse notwendig
59 [ Vgl.: BVerfGE 77, 346 (354).] und eine
60 - staatliche Regulierung dieser Tätigkeit würde sich
61 zugleich einschränkend auf die Meinungsverbreitung
62 auswirken. [ Vgl.: BVerfGE 77, 346 (354).]
63
64 Da das BVerfG diese Kriterien hinsichtlich der Tätigkeit der
65 Presse-Grossisten als erfüllt ansah, bescheinigte es ihnen
66 den Schutz der Pressefreiheit. Hinsichtlich anderer Anbieter
67 inhaltsneutraler Tätigkeiten hat sich das BVerfG noch nicht
68 geäußert.
69
70 2. Schutz von inhaltsneutraler Tätigkeit durch Art. 5 I GG
71 (Lit.  Kabelnetzbetreiber)
72
73 Fraglich ist nun, inwieweit die Rechtsprechung des BVerfG
74 fruchtbar gemacht werden kann, wenn es um den
75 Grundrechtsschutz hinsichtlich des Art. 5 I GG für die neuen
76 inhaltsneutralen Akteure geht. Eine Parallele zu der
77 Presse-Grosso-Rechtsprechung wurde bereits für die
78 Kabelnetzbetreiber hinsichtlich ihrer inhaltsneutralen
79 Tätigkeit – des Transports der Inhalte der
80 Rundfunkveranstalter – gezogen. [Vgl.: Gersdorf, Hubertus:
81 Grundzüge des Rundfunkrechts. Nationaler und europäischer
82 Regulierungsrahmen, 2003, S. 54 ff. und: Wichmann, Anja:
83 Vielfaltsicherung in digitalisierten Breitbandkabelnetzen.
84 Rechtsprobleme der Nutzung digitalisierter
85 Rundfunk-Kabelnetze durch Fernsehveranstalter: 2004, S. 51.]
86 Bereits vor einigen Jahren wurde die Übertragung der
87 Presse-Grosso-Rechtsprechung auf die Kabelnetzbetreiber
88 gefordert. [ Vgl.: Gersdorf, Hubertus: Grundzüge des
89 Rundfunkrechts. Nationaler und europäischer
90 Regulierungsrahmen. 2003, S. 54 ff. und: Wichmann, Anja:
91 Vielfaltsicherung in digitalisierten Breitbandkabelnetzen.
92 Rechtsprobleme der Nutzung digitalisierter
93 Rundfunk-Kabelnetze durch Fernsehveranstalter. 2004, S. 43
94 ff.] Dabei muss unterschieden werden zwischen der reinen
95 Transporttätigkeit durch Programmübermittlung einerseits und
96 der Programmbündelung und -vermarktung andererseits. Während
97 die reine Programmübermittlung keinen Inhaltsbezug aufweist,
98 ist dieser bei der Programmbündelung gerade durch die
99 Auswahl der Programme, die eingespeist werden sollen,
100 gegeben. Für die Frage des Grundrechtsschutzes der
101 Kabelnetzbetreiber aus der Rundfunkfreiheit wird die
102 Rechtsprechung des BVerfG zum Presse-Grosso, die
103 hinsichtlich der Pressefreiheit ergangen ist, auf die
104 Rundfunkfreiheit übertragen. [Vgl.: BVerfGE 78, 101 (103),
105 das hinsichtlich des Grundrechtsschutzes der erforderlichen
106 Hilfstätigkeiten eines Rundfunkveranstalters auf die
107 Presse-Grosso-Rechtsprechung verweist und diese bejaht.]Dann
108 wird geprüft, ob die Voraussetzungen, die das BVerfG
109 hinsichtlich des Grundrechtsschutzes einer inhaltsneutralen
110 Tätigkeit aufgestellt hat, vorliegen.
111
112 Voraussetzung für den Grundrechtsschutz aus der
113 Rundfunkfreiheit für Hilfstätigkeiten ist: [Vgl.: Wichmann,
114 Anja: Vielfaltsicherung in digitalisierten
115 Breitbandkabelnetzen. Rechtsprobleme der Nutzung
116 digitalisierter Rundfunk-Kabelnetze durch
117 Fernsehveranstalter. 2004, S. 51.]
118
119 - eine selbständig ausgeübte Tätigkeit, die nicht in der
120 Veranstaltung von Rundfunksendungen besteht,
121 - dass die Tätigkeit eine notwendige Bedingung für einen
122 freien Rundfunk ist und
123 -dass sie einen ausreichenden Inhaltsbezug aufweist. Dieser
124 ist gegeben, [ Vgl.: Wichmann, Anja: Vielfaltsicherung in
125 digitalisierten Breitbandkabelnetzen. Rechtsprobleme der
126 Nutzung digitalisierter Rundfunk-Kabelnetze durch
127 Fernsehveranstalter. 2004, S. 51.]
128 - wenn die Hilfstätigkeit typischerweise rundfunkbezogen
129 ist,
130 - sie in enger organisatorischer Bindung an den Rundfunk
131 erfolgt und
132 - sich eine staatliche Regulierung dieser Tätigkeit zugleich
133 einschränkend auf die Meinungsbildung auswirkt. [ Vgl.:
134 ebd., S. 51.]
135
136 Demzufolge fallen die Kabelnetzbetreiber hinsichtlich der
137 reinen Transportfunktion, die inhaltsneutral ist, unter den
138 Schutz des Art. 5 I 2 GG (Rundfunkfreiheit), da die oben
139 genannten Kriterien zum Presse-Grosso zum einen auf die
140 Rundfunkfreiheit übertragbar und zum anderen aus folgenden
141 Gründen erfüllt sind: Die Kabelnetzbetreiber üben eine
142 selbständige Tätigkeit aus, die auch, wenn man die reine
143 Transporttätigkeit betrachtet, nicht in der Veranstaltung
144 von Rundfunk besteht. Ohne die Verbreitung durch das
145 Kabelnetz könnte mangels alternativer Verbreitung nicht ein
146 so breites Publikum mit den Inhalten erreicht werden, so
147 dass dies eine notwendige Bedingung für einen freien
148 Rundfunk darstellt. Die Tätigkeit der Kabelnetzbetreiber ist
149 hinsichtlich des Transports der Rundfunkprogramme als
150 typischerweise rundfunkbezogen einzustufen. Die enge
151 organisatorische Bindung besteht, da die Beziehung zwischen
152 dem Kabelnetzbetreiber als Transporteur und den
153 Rundfunkveranstaltern als Inhalteanbieter sich als ein
154 wechselseitiges Abhängigkeitsverhältnis gestaltet. Zum einen
155 sind die Rundfunkveranstalter darauf angewiesen, dass die
156 Kabelnetzbetreiber das Rundfunkprogramm transportieren, da
157 sonst der Rezipient nicht in den Genuss des Programms kommen
158 würde. Zum anderen hat aber auch der große
159 Rundfunkveranstalter einen Einfluss auf den
160 Kabelnetzbetreiber, was die Nutzungskonditionen oder die
161 Kabelbelegungsentscheidungen angeht,[Vgl.: ebd., S. 52.] so
162 dass auch ein ausreichender Inhaltsbezug besteht.
163
164 Dagegen ist hinsichtlich der Programmbündelung der Schutz
165 aus Art 5 I GG gegeben, ein Rückgriff auf die
166 Presse-Grosso-Rechtsprechung ist nicht erforderlich, da dies
167 keine inhaltsneutrale Tätigkeit ist. Vielmehr nimmt der
168 Kabelnetzbetreiber dadurch eine eigene inhaltliche,
169 programmbezogene Gestaltung vor, um ein attraktives
170 Programmbouquet zusammenzustellen.
171
172 3. Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zu inhaltsneutralen
173 Tätigkeiten von Providern
174
175 Wenn man einen Blick auf die Rechtsprechung des BGH wirft,
176 so fällt auf, dass zahlreiche Urteile bezüglich der
177 Störerhaftung von Providern, zumeist Host-Providern, zu
178 finden sind. Die Host-Provider stellen gerade keine eigenen
179 Inhalte zur Verfügung, sondern lediglich die Server, auf
180 denen die Inhalte gespeichert werden können.
181 In einer Sache hatte der BGH zu entscheiden, welche
182 Prüfpflichten den Host-Provider in Bezug auf eine
183 Störerhaftung treffen, wenn ein Nutzer auf seiner Plattform
184 angeblich persönlichkeitsrechtsverletzende Äußerungen
185 tätigt. [Vgl.: BGH, NJW 2012, 148 ff.]In diesem Zusammenhang
186 hat der BGH zur Ermittlung dieser Prüfpflichten eine
187 Abwägung zwischen den betroffenen Grundrechten auf Seiten
188 des Verletzten und auf Seiten des Providers angestellt. Als
189 Grundrechte des Providers nennt der BGH Art. 5 I GG, Art 10
190 EMRK, die Meinungs- und Medienfreiheit. [ Vgl.: BGH, NJW
191 2012, 148 (150): Recht des Providers auf Meinungs- und
192 Medienfreiheit.] Somit erkennt der BGH für den Host-Provider
193 den Grundrechtsschutz aus Art. 5 I GG an – auch wenn eine
194 genauere Begründung dazu ausbleibt.
195
196 4. Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs zu
197 inhaltsneutralen Tätigkeiten von Providern
198
199 Rechtsprechung des EuGH bezüglich inhaltsneutraler
200 Tätigkeiten und den Kommunikationsfreiheiten ist durchaus zu
201 finden. Zuletzt hatte der EuGH in seiner Entscheidung vom
202 16. Februar 2012 [Vgl.: EuGH, ZUM 2012, 307 ff.  Sabam und
203 EuGH, ZUM 2012, 29 ff.  Scarlet Extended.] über
204 urheberrechtliche Verletzungen auf Plattformen zu befinden,
205 ob dem Provider zulässigerweise eine generelle Pflicht zur
206 Einführung eines Filtersystems auferlegt werden darf. Bei
207 seinen Ausführungen erkennt der EuGH für den Host-Provider
208 keine Kommunikationsgrundrechte an. Es werden lediglich
209 Wirtschaftsgrundrechte in die Abwägung eingestellt. Nur für
210 die Nutzer werden Kommunikationsgrundrechte angeführt.

Der Text verglichen mit der Originalversion

1 IV. Bisheriger Stand der Wissenschaft / Rechtsprechung zum
2 Schutz inhaltsneutraler Tätigkeiten durch
3 Kommunikationsgrundrechte
4
5 1. Schutz von inhaltsneutraler Tätigkeit durch Art. 5 I GG
6 (BVerfG - Presse-Grosso)
7
8 Hinsichtlich der grundrechtlichen Einordnung in Bezug auf
9 Art. 5 GG von (presseexternen) inhaltsneutralen Tätigkeiten
10 hat sich das BVerfG bisher nur in Bezug auf die
11 Presse-Grossisten.[FN: Das Presse-Grosso-System ist derzeit
12 Gegenstand gerichtlicher Auseinandersetzungen (zum Ganzen:
13 Gersdorf, Hubertus: AfP 2012, 336 ff.), in denen es um die
14 kartellrechtliche Zulässigkeit sowohl des Systems der
15 Alleinauslieferung (vgl. BGH, AfP 2011, 569 ff.; siehe
16 hierzu: Alexander, Christian: ZWeR 2012, 215 ff.; Bach,
17 Albrecht: NJW 2012, 728 ff.; Paal, Boris P.:AfP 2012, 1 ff.)
18 als auch des zentralen Verhandlungsmandats des
19 Bundesverbandes Deutscher Buch-, Zeitungs- und
20 Zeitschriften-Grossisten e.V. (vgl. LG Köln, AfP 2012, 195 –
21 nicht rechtskräftig; der Bundesverband Presse-Grosso hat
22 gegen das Urteil Berufung eingelegt, OLG Düsseldorf, Az. VI
23 U 7/12 [Kart].) geht.] geäußert. Das BVerfG musste 1988
24 entscheiden, ob die Tätigkeit der externen
25 Presse-Grossisten, die an sich eine inhaltsneutrale
26 Tätigkeit ausüben, auch von dem Schutzbereich des Art. 5 I 2
27 GG (Pressefreiheit) erfasst werden. Auch wenn der
28 Schutzbereich der Pressefreiheit recht weit gefasst wird, da
29 es um die Frage geht, ob eine ungehinderte
30 Meinungsverbreitung möglich ist, wird gleichwohl nicht jede
31 selbständige Tätigkeit von dem Schutzbereich des Art. 5 I 2
32 GG erfasst, die der Presse lediglich zugute kommt und für
33 diese funktionswichtig ist. Maßgebend ist ein ausreichender
34 Inhaltsbezug der Tätigkeit. [ Vgl.: BVerfGE 77, 346 (354).]
35 Nur wenn dieser vorliegt, kann die Tätigkeit unter den
36 Schutzbereich der Pressefreiheit gefasst werden, da der
37 Schutz im Interesse der freien Meinungsbildung besteht. [
38 Vgl.: BVerfGE 57, 295 (319).] Bei den presseinternen,
39 inhaltsfernen oder sogar inhaltsneutralen Hilfstätigkeiten
40 ist der Inhaltsbezug und somit der Schutz durch die
41 Pressefreiheit durch die organisatorische Verflechtung mit
42 dem Presseunternehmen begründet. [ Vgl.: BVerfGE 77, 346
43 (354).] Bei den presseexternen Hilfstätigkeiten ist der
44 Schutz regelmäßig aufgrund mangelnden Inhaltsbezugs hingegen
45 nicht gegeben. Es sei denn:
46
47 - eine selbständig ausgeübte, nicht die Herstellung von
48 Presseerzeugnissen betreffende Hilfstätigkeit, die
49 typischerweise pressebezogen ist
50 [ Vgl.: BVerfGE 77, 346 (354).] (=
51 presseexterne Hilfstätigkeit) weist eine
52 - enge organisatorische Bindung an die Presse [ Vgl.:
53 BVerfGE 77, 346 (354).] (erstens, wenn Presseunternehmen
54 für den freien Verkauf ihrer Erzeugnisse auf Grossisten
55 angewiesen sind; zweitens, wenn die Verleger auch umgekehrt
56 einen erheblichen Einfluss auf die Vertriebstätigkeit der
57 Grossisten haben) [Vgl.: BVerfGE 77, 346 (355).]auf;
58 - ist für das Funktionieren einer freien Presse notwendig
59 [ Vgl.: BVerfGE 77, 346 (354).] und eine
60 - staatliche Regulierung dieser Tätigkeit würde sich
61 zugleich einschränkend auf die Meinungsverbreitung
62 auswirken. [ Vgl.: BVerfGE 77, 346 (354).]
63
64 Da das BVerfG diese Kriterien hinsichtlich der Tätigkeit der
65 Presse-Grossisten als erfüllt ansah, bescheinigte es ihnen
66 den Schutz der Pressefreiheit. Hinsichtlich anderer Anbieter
67 inhaltsneutraler Tätigkeiten hat sich das BVerfG noch nicht
68 geäußert.
69
70 2. Schutz von inhaltsneutraler Tätigkeit durch Art. 5 I GG
71 (Lit.  Kabelnetzbetreiber)
72
73 Fraglich ist nun, inwieweit die Rechtsprechung des BVerfG
74 fruchtbar gemacht werden kann, wenn es um den
75 Grundrechtsschutz hinsichtlich des Art. 5 I GG für die neuen
76 inhaltsneutralen Akteure geht. Eine Parallele zu der
77 Presse-Grosso-Rechtsprechung wurde bereits für die
78 Kabelnetzbetreiber hinsichtlich ihrer inhaltsneutralen
79 Tätigkeit – des Transports der Inhalte der
80 Rundfunkveranstalter – gezogen. [Vgl.: Gersdorf, Hubertus:
81 Grundzüge des Rundfunkrechts. Nationaler und europäischer
82 Regulierungsrahmen, 2003, S. 54 ff. und: Wichmann, Anja:
83 Vielfaltsicherung in digitalisierten Breitbandkabelnetzen.
84 Rechtsprobleme der Nutzung digitalisierter
85 Rundfunk-Kabelnetze durch Fernsehveranstalter: 2004, S. 51.]
86 Bereits vor einigen Jahren wurde die Übertragung der
87 Presse-Grosso-Rechtsprechung auf die Kabelnetzbetreiber
88 gefordert. [ Vgl.: Gersdorf, Hubertus: Grundzüge des
89 Rundfunkrechts. Nationaler und europäischer
90 Regulierungsrahmen. 2003, S. 54 ff. und: Wichmann, Anja:
91 Vielfaltsicherung in digitalisierten Breitbandkabelnetzen.
92 Rechtsprobleme der Nutzung digitalisierter
93 Rundfunk-Kabelnetze durch Fernsehveranstalter. 2004, S. 43
94 ff.] Dabei muss unterschieden werden zwischen der reinen
95 Transporttätigkeit durch Programmübermittlung einerseits und
96 der Programmbündelung und -vermarktung andererseits. Während
97 die reine Programmübermittlung keinen Inhaltsbezug aufweist,
98 ist dieser bei der Programmbündelung gerade durch die
99 Auswahl der Programme, die eingespeist werden sollen,
100 gegeben. Für die Frage des Grundrechtsschutzes der
101 Kabelnetzbetreiber aus der Rundfunkfreiheit wird die
102 Rechtsprechung des BVerfG zum Presse-Grosso, die
103 hinsichtlich der Pressefreiheit ergangen ist, auf die
104 Rundfunkfreiheit übertragen. [Vgl.: BVerfGE 78, 101 (103),
105 das hinsichtlich des Grundrechtsschutzes der erforderlichen
106 Hilfstätigkeiten eines Rundfunkveranstalters auf die
107 Presse-Grosso-Rechtsprechung verweist und diese bejaht.]Dann
108 wird geprüft, ob die Voraussetzungen, die das BVerfG
109 hinsichtlich des Grundrechtsschutzes einer inhaltsneutralen
110 Tätigkeit aufgestellt hat, vorliegen.
111
112 Voraussetzung für den Grundrechtsschutz aus der
113 Rundfunkfreiheit für Hilfstätigkeiten ist: [Vgl.: Wichmann,
114 Anja: Vielfaltsicherung in digitalisierten
115 Breitbandkabelnetzen. Rechtsprobleme der Nutzung
116 digitalisierter Rundfunk-Kabelnetze durch
117 Fernsehveranstalter. 2004, S. 51.]
118
119 - eine selbständig ausgeübte Tätigkeit, die nicht in der
120 Veranstaltung von Rundfunksendungen besteht,
121 - dass die Tätigkeit eine notwendige Bedingung für einen
122 freien Rundfunk ist und
123 -dass sie einen ausreichenden Inhaltsbezug aufweist. Dieser
124 ist gegeben, [ Vgl.: Wichmann, Anja: Vielfaltsicherung in
125 digitalisierten Breitbandkabelnetzen. Rechtsprobleme der
126 Nutzung digitalisierter Rundfunk-Kabelnetze durch
127 Fernsehveranstalter. 2004, S. 51.]
128 - wenn die Hilfstätigkeit typischerweise rundfunkbezogen
129 ist,
130 - sie in enger organisatorischer Bindung an den Rundfunk
131 erfolgt und
132 - sich eine staatliche Regulierung dieser Tätigkeit zugleich
133 einschränkend auf die Meinungsbildung auswirkt. [ Vgl.:
134 ebd., S. 51.]
135
136 Demzufolge fallen die Kabelnetzbetreiber hinsichtlich der
137 reinen Transportfunktion, die inhaltsneutral ist, unter den
138 Schutz des Art. 5 I 2 GG (Rundfunkfreiheit), da die oben
139 genannten Kriterien zum Presse-Grosso zum einen auf die
140 Rundfunkfreiheit übertragbar und zum anderen aus folgenden
141 Gründen erfüllt sind: Die Kabelnetzbetreiber üben eine
142 selbständige Tätigkeit aus, die auch, wenn man die reine
143 Transporttätigkeit betrachtet, nicht in der Veranstaltung
144 von Rundfunk besteht. Ohne die Verbreitung durch das
145 Kabelnetz könnte mangels alternativer Verbreitung nicht ein
146 so breites Publikum mit den Inhalten erreicht werden, so
147 dass dies eine notwendige Bedingung für einen freien
148 Rundfunk darstellt. Die Tätigkeit der Kabelnetzbetreiber ist
149 hinsichtlich des Transports der Rundfunkprogramme als
150 typischerweise rundfunkbezogen einzustufen. Die enge
151 organisatorische Bindung besteht, da die Beziehung zwischen
152 dem Kabelnetzbetreiber als Transporteur und den
153 Rundfunkveranstaltern als Inhalteanbieter sich als ein
154 wechselseitiges Abhängigkeitsverhältnis gestaltet. Zum einen
155 sind die Rundfunkveranstalter darauf angewiesen, dass die
156 Kabelnetzbetreiber das Rundfunkprogramm transportieren, da
157 sonst der Rezipient nicht in den Genuss des Programms kommen
158 würde. Zum anderen hat aber auch der große
159 Rundfunkveranstalter einen Einfluss auf den
160 Kabelnetzbetreiber, was die Nutzungskonditionen oder die
161 Kabelbelegungsentscheidungen angeht,[Vgl.: ebd., S. 52.] so
162 dass auch ein ausreichender Inhaltsbezug besteht.
163
164 Dagegen ist hinsichtlich der Programmbündelung der Schutz
165 aus Art 5 I GG gegeben, ein Rückgriff auf die
166 Presse-Grosso-Rechtsprechung ist nicht erforderlich, da dies
167 keine inhaltsneutrale Tätigkeit ist. Vielmehr nimmt der
168 Kabelnetzbetreiber dadurch eine eigene inhaltliche,
169 programmbezogene Gestaltung vor, um ein attraktives
170 Programmbouquet zusammenzustellen.
171
172 3. Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zu inhaltsneutralen
173 Tätigkeiten von Providern
174
175 Wenn man einen Blick auf die Rechtsprechung des BGH wirft,
176 so fällt auf, dass zahlreiche Urteile bezüglich der
177 Störerhaftung von Providern, zumeist Host-Providern, zu
178 finden sind. Die Host-Provider stellen gerade keine eigenen
179 Inhalte zur Verfügung, sondern lediglich die Server, auf
180 denen die Inhalte gespeichert werden können.
181 In einer Sache hatte der BGH zu entscheiden, welche
182 Prüfpflichten den Host-Provider in Bezug auf eine
183 Störerhaftung treffen, wenn ein Nutzer auf seiner Plattform
184 angeblich persönlichkeitsrechtsverletzende Äußerungen
185 tätigt. [Vgl.: BGH, NJW 2012, 148 ff.]In diesem Zusammenhang
186 hat der BGH zur Ermittlung dieser Prüfpflichten eine
187 Abwägung zwischen den betroffenen Grundrechten auf Seiten
188 des Verletzten und auf Seiten des Providers angestellt. Als
189 Grundrechte des Providers nennt der BGH Art. 5 I GG, Art 10
190 EMRK, die Meinungs- und Medienfreiheit. [ Vgl.: BGH, NJW
191 2012, 148 (150): Recht des Providers auf Meinungs- und
192 Medienfreiheit.] Somit erkennt der BGH für den Host-Provider
193 den Grundrechtsschutz aus Art. 5 I GG an – auch wenn eine
194 genauere Begründung dazu ausbleibt.
195
196 4. Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs zu
197 inhaltsneutralen Tätigkeiten von Providern
198
199 Rechtsprechung des EuGH bezüglich inhaltsneutraler
200 Tätigkeiten und den Kommunikationsfreiheiten ist durchaus zu
201 finden. Zuletzt hatte der EuGH in seiner Entscheidung vom
202 16. Februar 2012 [Vgl.: EuGH, ZUM 2012, 307 ff.  Sabam und
203 EuGH, ZUM 2012, 29 ff.  Scarlet Extended.] über
204 urheberrechtliche Verletzungen auf Plattformen zu befinden,
205 ob dem Provider zulässigerweise eine generelle Pflicht zur
206 Einführung eines Filtersystems auferlegt werden darf. Bei
207 seinen Ausführungen erkennt der EuGH für den Host-Provider
208 keine Kommunikationsgrundrechte an. Es werden lediglich
209 Wirtschaftsgrundrechte in die Abwägung eingestellt. Nur für
210 die Nutzer werden Kommunikationsgrundrechte angeführt.

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